Sonntag, 2. November 2008
Spiel mit der Sprache
Die Theorie des Sprachspiels mag durchaus Substanz haben, die Bedeutung der Sprache ist lediglich der Gebrauch der Sprache, aber als philosophischer Standpunkt bleiben diese teilweise recht verworrenen Aphorismen etwas schwach, "Philosophische Spiele" wäre vielleicht ein passenderer Titel gewesen. Im Übrigen sollte die Sprache als Instrument und nichthintergehbares Medium durchaus reflektiert und bereinigt werden, aber eine Brille sollte man nicht nur putzen, sondern auch mal durchschauen.
Dienstag, 29. Juli 2008
Die Logik des Mythos
Die "Arbeit am Mythos" (Hans Blumenberg) ist ja bis heute nicht zu Ende, noch immer schreiben Autoren der Gegenwart über Medea, wie etwa Christa Wolf. Das ist vielleicht das schöne an solcherart Literatur, die Geschichten werden immerzu umgeschrieben und weitererzählt.
Mittwoch, 9. Juli 2008
Römische Elegien: Die Fünfte
Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden begeistert,
Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir.
Hier befolg ich den Rat, durchblättre die Werke der Alten
Mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuß.
Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt;
Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt beglückt.
Und belehr ich mich nicht, indem ich des lieblichen Busens
Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab?
Dann versteh ich den Marmor erst recht: ich denk und vergleiche,
Sehe mit fühlendem Aug, fühle mit sehender Hand.
Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages,
Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin.
Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen,
Überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel.
Oftmals hab ich auch schon in ihren Armen gedichtet
Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand
Ihr auf den Rücken gezählt. Sie atmet in lieblichem Schlummer,
Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins Tiefste die Brust.
Amor schüret die Lamp' indes und gedenket der Zeiten,
Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn getan.
Donnerstag, 3. Juli 2008
Die tiefe Langeweile
Um zu einer solchen Stimmung zu gelagen, muß der Mensch sich selbst durch sein 'inbegriffliches Fragen' in Frage stellen. Ein Weg führt dabei über die Langeweile, die Heidegger [Bild] in über hundert Seiten in drei Grundformen analysiert und dabei seinem Gegenstand in performativer Widersprüchlichkeit gerecht wird. Die tiefe Langeweile ist eigentlich ein Abgrund.
Dienstag, 1. Juli 2008
Klopstock: Die deutsche Bibel (1784)
Heiliger Luther, bitte für die Armen,
Denen Geistes Beruf nicht scholl, und die doch
Nachdolmetschen, daß sie zur Selbsterkentniß
Endlich genesen!Weder die Sitte, noch der Sprache Weise
Kennen sie, und es ist der reinen Keuschheit
Ihnen Märchen! was sich erhebt, was Kraft hat,
Edleres, Thorheit!Dunkel auf immer ihnen jener Gipfel,
Den du muthig erstiegst, und dort des Vater-
Landes Sprache bildetest, zu der Engel
Sprach', und der Menschen.Zeiten entflohn: allein die umgeschafne
Blieb; und diese Gestalt wird nie sich wandeln!
Lächeln wird, wie wir, sie dereinst der Enkel,
Ernst sie, wie wir, sehn.Heiliger Luther, bitte für die Armen,
Daß ihr stammelnd Gered' ihr Ohr vernehme,
Und sie dastehn, Thränen der Reu im Blick, die
Hand auf dem Munde!
Montag, 30. Juni 2008
Genies unter sich
Mittwoch, 25. Juni 2008
Mit den eigenen Waffen
Einige Kritiker attestieren Ken Wilber [Bild] literarische Talentlosigkeit und in der Tat glänzt der Stil durch Imitation und Überbietung eines "schlechten Stils". Die Parodie "Boomeritis" ist auf eine sehr unterhaltsame und intelligente Weise gelungen, ob Wilber als Literat tatsächlich Talent besitzt, muss allerdings offen bleiben. Es läßt sich hier in beide Richtungen argumentieren: Nein, denn er hat einen schlechten Stil, oder: Ja, denn er beherrscht den schlechten Stil wie kein anderer. Wilber selbst bemerkt dazu lapidar: "Wir werden es wohl nie erfahren".
Dienstag, 24. Juni 2008
Die Fünf-Sterne-Liste
- Rafael Yglesias "Doktor Nerudas Therapie gegen das Böse"
- Umberto Eco "Das Foucaultsche Pendel"
- Rainald Goetz "Abfall für Alle"
- Reiner Stach "Kafka. Die Jahre der Entscheidung"
- Rüdiger Safranski "Nietzsche. Biographie seines Denkens"
- Manfred Kühn "Kant. Eine Biographie"
- Rüdiger Safranski "Romantik. Eine deutsche Affäre"
- Ken Wilber "Eros, Kosmos, Logos"
- Peter Watson "Das Lächeln der Medusa"
Montag, 23. Juni 2008
Kartographie des Wissens
Hinzu kommt, daß Wilber nicht nur die westliche Wissenschaft, sondern auch die östlichen Weisheitslehren - etwa den Buddhismus, Daoismus oder Hinduismus - in seine Landkarte integriert und damit auf pauschale Kritik oder Ignoranz stößt. In Europa wird Wilber nur in New Age-Kreisen rezipiert, die widerum auf seine polemischen Kritiken an ihrer oftmals seichten Esoterik nicht gerade begeistert reagieren. Wilber wird vielleicht erst noch entdeckt werden.
Sonntag, 22. Juni 2008
Hölderlin: An die jungen Dichter (1826)
Liebe Brüder! es reift unsere Kunst vielleicht
Da, wie ein Jüngling, sie lange genug gegärt,
Bald zur Stille der Schönheit;
Seid nur fromm, wie der Grieche war!Liebt die Götter und denkt freundlich der Sterblichen!
Haßt den Rausch, wie den Frost! lehrt und beschreibt nichts!
Wenn der Meister euch ängstigt,
Fragt die große Natur um Rat.
Montag, 16. Juni 2008
Das Wesen der Philosophie
Freitag, 13. Juni 2008
Nietzsche: An Goethe (1882)
Das Unvergängliche
Ist nur dein Gleichniss!
Gott der Verfängliche
Ist Dichter-Erschleichniss ...
Welt-Rad, das rollende,
Streift Ziel auf Ziel:
Noth – nennt’s der Grollende,
Der Narr nennt’s – Spiel ...
Welt-Spiel, das herrische,
Mischt Sein und Schein: –
Das Ewig-Närrische
Mischt uns – hinein!...
Mittwoch, 11. Juni 2008
Der alte Mann und das Mädchen
Der 74jährige Goethe verliebt sich in die 19 Jahre alte Ulrike von Levetzow [Bild], soviel zum historischen Ausgangspunkt. Die Charakterisierung des jungen Mädchens scheint dagegen literarisch etwas überhöht geraten zu sein, ein solches frühreifes und eloquentes Frauenzimmer, wie Walser es vorstellt, ist doch eher das Produkt eines kühnen Nachahmers unseres Klassikers, der am Ende das Ideal in der Literatur erschaffen will, weil es im Leben nicht zu haben ist. Das Thema Alte Männer und Junge Frauen ist ja durchaus präsent in den letzten Jahren - man denke etwa an Philip Roths thematische Redundanz - und tatsächlich scheint der Roman ein geeignetes Medium zu sein, um das, was nicht sein darf, dennoch sein zu lassen.
Dienstag, 10. Juni 2008
Bibliothek bei Nacht
In "Die Bibliothek bei Nacht" (2006) findet sich auch jene labyrinthische Logik des Hypertextes, die Manguel so formuliert:
Manchmal träume ich von einer gänzlich namenlosen Bibliothek, in der die Bücher weder Titel noch Autor kennen, sondern zu einem kontinuierlichen Erzählstrom verschmelzen, in dem alle Genres, alle Stilrichtungen und alle Geschichten einfließen und wo alle Protagonisten und Orte unbenannt sind, ein Strom, in dem ich an jedem beliebigen Punkt eintauchen kann.
Dienstag, 20. Mai 2008
Goethe: Weltliteratur (1827)
Wie David königlich zur Harfe sang,
Der Winzerin Lied am Throne lieblich klang,
Des Persers Bulbul Rosenbusch umbangt,
Und Schlangenhaut als Wildengürtel prangt,
Von Pol zu Pol Gesänge sich ernenn –
Ein Sphärentanz harmonisch im Getümmel –
Laßt alle Völker unter gleichem Himmel
Sich gleicher Habe wohlgemuth erfreun!
Montag, 19. Mai 2008
Die Vernetzung der Welt
Das Schöne an dieser hervorragend geschriebenen "Geschichte der Medien" (2001) ist, dass sie von einem Literaturwissenschaftler verfasst wurde. Hörisch liest die Klassiker gewissermaßen gegen den Strich und betrachtet Aischylos, Charles Dickens oder Thomas Mann als medienhistorische Lektüre.
Sonntag, 18. Mai 2008
Raum-Zeit-Reise
Samstag, 17. Mai 2008
Rilke: Sonett 1b
Atmen, du unsichtbares Gedicht!
Immerfort um das eigne
Sein rein eingetauschter Weltraum. Gegengewicht,
in dem ich mich rhythmisch ereigne.
Einzige Welle, deren
allmähliches Meer ich bin;
sparsamstes du von allen möglichen Meeren,
-Raumgewinn.
Wieviele von diesen Stellen der Räume waren
schon
innen in mir. Manche Winde
sind wie mein Sohn.
Erkennst du mich, Luft, du, voll noch einst meiniger
Orte?
Du, einmal glatte Rinde,
Rundung und Blatt meiner Worte.
Wahrheit und Dichtung
Denn das scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie Welt- und Menschenansicht daraus gebildet und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wieder nach außen abgespiegelt.Die Frage bleibt offen, ob das auch für den Umkehrschluss gilt, ob jede Dichtung, und sei sie noch so phantastisch, die ganze Wahrheit enthält.
Sappho: Fragmente (um 600 v. Chr.)
Freitag, 16. Mai 2008
Wievel Lesezeichen braucht der Mensch?
Vielleicht liegt darin tatsächlich eine Oberflächlichkeit, vielleicht ist es aber auch nur die zeitgenössische Art zu Denken. Die Medialität von von Sprache und Literatur soll ja angeblich unsere Wahrnehmung konditionieren, beispielsweise soll die Linearität der Alphabetschrift, im Gegensatz zum zyklischen Ritual, einen linearen Modus des Denkens statt eines zyklischen etabliert haben. Heute ist dagegen viel die Rede von der Hypertextualität und einer netzartigen Struktur des Denkens. Mit anderen Worten, vielleicht braucht man heutzutage einfach eine ganze Kollektion an Lesezeichen.
Logbuch eines Reisenden
Ein Buch ohne Anfang und Ende ist für menschlichen Besitz ungeeignet, der Verstand gerät in Gefahr, sich ans Monströse zu gewöhnen, und blättert einer zu viel in dem maßlosen Buch, so riskiert er selbst zum Monstrum zu werden.Nun sind wir aber durchaus im Besitz eines solchen Textes, der weder Anfang noch Ende hat. Es handelt sich um den endlos verwobenen Hypertext, der keinesweg im Zeitalter des Internets begonnen wurde zu weben, sondern zu einer Zeit, in der die Literatur selbst erfunden wurde, spätestens seitdem die frühen Dichter sich auf noch frühere Dichtungen bezogen, indem sie gewissermaßen einen literarischen Link setzten.
Genau so wie sich Sloterdijk auf die Geschichte "Die Bibliothek von Babel" (1941) von Jorge Luis Borges bezieht, der sich selbst wiederum auf den Mythos der babylonischen Sprachverwirrung - sprich auf das "Buch der Bücher" (600 v. Chr. bis 120 n. Chr.) -, bezieht, deren anonyme Autoren sich letztendlich auf noch ältere Mythen beziehen. Die vermeintlich älteste Geschichte der Welt, bekannt unter dem Namen "Gilgamesch-Epos" (2100-1800 v. Chr.), reicht in die Zeit zurück als man noch Zeichen in Tontafeln einritzte. Aber auch dieses Tontafel-Epos steht nicht am Anfang. In der Literatur gibt es keinen Anfang. Der Leser ist immer schon mittendrin in der Gutenberg-Galaxis, die laut Marshall McLuhan im letzten Jahrhundert ihr Ende gefunden haben soll. In dieser Galaxie werden aber durchaus neue Sterne geboren und die Gefahr in ihr zu einem Monster zu werden ist keineswegs vorrüber.